Platinenmessgerät

Die Fertigungsaufträge der Lehrwerkstatt laufen meist ziemlich gleich ab. Auftrag studieren, Zeichnungen und Rohmaterial nehmen, Werkzeuge und Messmittel bereitlegen und dann geht’s ans Fertigen. «Normale» Aufträge sind oft nach ein bis zwei Tagen oder weniger erledigt. Umso neugieriger war ich, als mir mein Lehrmeister Herr Ernst im Sommer 2011 von diesem etwas grösseren Projekt berichtete und mich als zuständigen Lehrling wählte. Ein Platinenmessgerät, welches einfach im Handling, tragbar und kostengünstig ist. So sollte das Endprodukt aussehen. Gemessen werden sollten die Länge des Bleches auf plus/minus zwei Hundertstelmillimeter und die Winkel an den Ecken.

Das Pflichtenheft, welches wir von der Konstruktion erhielten und die genaueren Beschreibungen zum Gerät sowie Handskizzen von einzelnen Teilen enthielt, sollte ich erst einmal studieren und mir Ideen und Fragen notieren. Mein Ausbilder, Herr Nowak, war zuständig für die Koordination mit der Konstruktion und die Beschaffung des Rohmaterials sowie der Bestellung von speziellen Komponenten. Eine massive Aluminiumplatte von 720 x 300 mm und 25 mm Dicke war als erstes vom bestellten Rohmaterial eingetroffen. Sie sollte die Grundplatte bilden und an ihr würden sämtliche restlichen Teile befestigt werden. Nachdem sie von einem Lehrling in der Qualitätskontrolle ausgemessen und freigegeben wurde landete sie sogleich auf meinem Arbeitstisch. Die grobe Einteilung der Aufbauten und Ausfräsungen übertrug ich aus meinen Skizzen mit einem Filzstift auf die Platte. Das Feststellen der verschiedenen Masse und Abstände war ein ständiges Rechnen und Kontrollieren. Durch Hilfestellungen und Kontrolle der geplanten Arbeitsschritte durch Herr Nowak, kam ich schnell zum Fertigen. Das Fräsen sollte auf unserer Mikron WF41 CNC-Maschine erfolgen. Da ich die Grundlagen der CNC-Technik im ersten Lehrjahr auf dieser Maschine erlernt hatte und mit der Steuerung sehr vertraut bin, stellte das Programmieren keine grosse Herausforderung dar. Da der Verfahrweg der Maschine jedoch zu klein war, um die ganze Platte auf einmal bearbeiten zu können, musste ich sie mehrmals umspannen. Die Ausnahmen und Bohrungen auf der Oberseite waren relativ schnell gemacht. Umso mehr freute ich mich, als bekannt wurde, dass zwecks Gewichtsersparnis auf der Rückseite zwei grosse Taschen ausgefräst werden. Da man Aluminium bekanntlich sehr gut fräsen kann und ich selten so viele Späne auf einmal produziert hatte, staunte ich ganz schön, als der gesamte Innenraum der Maschine mit Spänen überfüllt war.

Nach einigen weiteren Gewinden und Ausfräsungen, wie zum Beispiel jene für die Befestigungsplatte der Messuhr, war die Grundplatte soweit fertig. Als der Anschlag für das Zargenblech auf der linken Seite und die Briden für den Digitalmassstab fertig gestellt waren und ich die fertigen Teile ein erstes Mal zusammensetzte, sah es schon ein bisschen nach Messgerät aus. Motiviert machte ich mich an die restlichen Teile. Zur Befestigung der Messuhr auf der Grundplatte und um ein Messen an diversen Stellen zu ermöglichen, wählte Herr Nowak eine Miniatur-Kugelumlaufführung. Diese Führung hat kein Spiel und konnte somit auch nicht das Messergebnis verfälschen. Da sie jedoch etwas zu gut hin- und hergleitete, mussten wir uns etwas zur Bremsung einfallen lassen. Ein einfaches Stück selbstklebender Filzstreifen, welchen wir unter den Schlitten der Messuhr auf die Platte klebten, war die ideale Lösung. Als alle Einzelteile fertig waren und das Messgerät bereits einsatzbereit gewesen wäre, zerlegte ich es wieder und nahm die Teile mit zum Sandstrahlen. Die Grundplatte passte zum Glück gerade so in den Innenraum der Anlage. Durch das Sandstrahlen verschwanden die Kratzer in der Oberfläche der Teile und wertete sie optisch auf. Nach einer gründlichen Reinigung wurden die Aluminiumteile schwarz eloxiert und der Stahl-Anschlag hartverchromt. Dies geschah jedoch extern und so packte ich die Teile in ein Palett, welches schon am nächsten Tag verschickt wurde. Nach einiger Zeit konnte ich dann die fertig behandelten Teile wieder zusammenschrauben und das Platinenmessgerät Marke  «Lehrwerkstatt» war fertig.

Die Handzeichnungen, welche ich während der Fertigung der Teile anlegte, wurden mit dem Pflichtenheft und dem fertigen Prototyp in die Konstruktion gegeben. Dort wurden CAD-Zeichnungen erstellt und somit ein neues Teil eröffnet. Das Messgerät konnte überzeugen und so wurde ein Auftrag über 5 Stück freigegeben. Die Grundplatte und die anderen Aluminiumteile werden jetzt auf unserer neuen DMC 635 eco gefräst, welche wir erst vor kurzem in Betrieb genommen haben. Da die komplette Fertigung und Montage der Messgeräte in der Lehrwerkstatt erfolgen wird, kann das fertige Produkt die Konkurrenzmodelle anderer Hersteller im Preis deutlich unterbieten. Auf diesen Erfolg und den Beitrag zur Firma ist die Lehrwerkstatt stolz und bereit für neue Ideen und Herausforderungen.


Silvan Zehnder, Polymechaniker